von Pfarrer Thomas Mertz, St. Paul's Lutheran Church Leamington, ON
Die Predigt wurde am 1. Weihnachtsfeiertag, den 25. Dezember 2000 in Billingshausen bei Würzburg gehalten.
nach dem Bayrischen Evangelischen Gesangbuch
„Der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher der Christus ist, der Herr, in der Stadt Davids. Und das sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend."
Lukas 2, 10
Liebe festliche Gemeinde,
Ich habe Ihnen heute etwas mitgebracht; es ist nichts besonders. Normalerweise würden wir es nicht einmal beachten. Ich habe Ihnen etwas Stroh mitgebracht. Heute Morgen erinnert es uns an den Stall von Bethlehem und die Krippe mit dem göttlichen Kind. In seiner Krippe lag auch Stroh drin; zu nichts nutze, außer als Streu für die Tiere. Kaum die angemessene Bettstatt für den Herrn der Heerscharen, den Schöpfer Himmels und der Erde. Und doch, wie alles im Weihnachtsevangelium das Walten Gottes erkennen lässt, so wird auch das Stroh in der Krippe seinen Platz im Ganzen haben. Gott spricht selbst dadurch zu uns, dass er sich bei seiner Ankunft in der Welt auf Stroh betten lässt.
Und so habe ich mich von diesen kleinen Strohhalmen zu mancherlei Gedanken anregen lassen. Er hat mich z.B. daran erinnert, dass wir manchmal sagen: „Einer drischt leeres Stroh" und damit meinen, dass er dummes Zeug redet. Und dann drängte sich mir der Gedanke auf, dass der Strohhalm eigentlich auch ein sehr sinniges Symbol für unsere Welt wäre; für unsere Welt - so unfertig und unzulänglich und dabei doch oft ganz eitel, voller menschlicher Dummheiten und Fehler, an denen Menschen sich wund reiben. Das wäre doch passend: Ein Strohhalm als Symbol für unsere Welt, die oft so unangenehm kratzt und piekst, die scharfkantig und schmerzhaft schneidend sein kann - wie Stroh.
Und so denke ich mir, dass Gott sich damals vielleicht ganz bewusst in die Krippe auf „Heu und Stroh" legen ließ, weil das zur Erde und zu uns Menschen passt. Das passt zu uns, zu denen er schließlich kommen will, um unter uns zu wohnen und mit uns zu leben. Welche Demut und Bescheidenheit liegt in dieser göttlichen Geste. Und das Christuskind in der Krippe hat etwas so anrührendes und beinahe zärtliches, weil wir spüren, dass Gott sich uns hier ausliefert. So als wollte er sagen: „Ich weiß schon: Mit euch Menschen ist es oft gar nicht weit her. Ihr könnt ganz fürchterlich kratzig sein und weh tun. Ich weiß das und trotzdem will ich das Leben mit euch teilen."
Gott bettet sich von Anfang an auf Stroh, weil er uns mitsamt unserer Unfertigkeit und Unzulänglichkeit lieb hat. Dadurch kann etwas neu werden. Weil Liebe und erst recht die Liebe Gottes Menschen verändern kann. Die ersten in denen beim Anblick des Kindes auf „Heu und auf Stroh" etwas neu wurde, waren die Hirten aus dem Weihnachtsevangelium. Sie betrachteten das Kind inmitten der Armseligkeit, die ihnen von sich selbst so vertraut war. Ich stelle mir vor, wie sich in diesem Moment ein Lächeln auf ihren Gesichtern breit machte, und sie in ihrem Herzen etwas spürten, das sie selbst vielleicht nie hätten in Worte fassen können: Das Gespür für den Frieden, der von diesem Kind ausging, das wunderbare Gefühl bedingungsloser Annahme und Mitmenschlichkeit, das nur ein Baby schenken kann. Diese Erfahrung hat aus armen Kerlen innerlich reiche Menschen gemacht. Für einen kostbaren Augenblick erfüllten sich ihre Träume und Sehnsüchte nach Liebe und Geborgenheit. Und sie mussten das Bild von dem jungen Paar und dem göttlichen Kind in ihrer Mitte einfach mit sich nehmen in die kleine Welt, in der sie lebten. Sie nahmen es mit als ein Hoffnungszeichen von Gott geschenkt. Ein Hoffnungszeichen für sie selbst, und dafür dass sich die Friedensträume aller Menschen, die guten Willens sind immer wieder erfüllen können - trotz vieler großer und kleiner Sorgen, trotz Unfrieden und in vielen Ängsten.
Es wird etwas neu in uns Menschen und in unserer Welt, wenn wir uns wie die Hirten von Gott anrühren und zum Lächeln bringen lassen. Denn dazu kommt Gott zu uns und wird Mensch, damit wir wieder neu werden, damit wir froh werden und Hoffnung für unser Leben und diese Welt schöpfen können.
Darum „fürchtet euch nicht (mehr)", sondern fasst Zutrauen, schöpft Hoffnung und lasst euch um Gottes willen anstecken von der Freude, die die Engel uns in der Weihnachtsgeschichte verkündigen. Weil: Gott dorthin kommt, wo euer Leben kratzt und piekst und wehtut. Fürchtet euch nicht länger, sondern seid froh und voller Vertrauen obwohl ihr noch nicht in einer Welt des seligen Weihnachtsfriedens lebt, sondern euch Streit und weltweite Nöte und Probleme belasten; seid froh und voller Zutrauen obwohl ihr noch Ängste und Sorgen
mit euch herumschleppt.
„Fürchtet euch nicht," denn Gott kommt zu euch. Er begibt sich mitten hinein in eure Plage und nimmt Platz in eurer harten Welt. Damit sich etwas ändert, auf der Erde, unter uns Menschen.
Damit die Menschen lernen, Streit in Frieden zu wandeln. Damit Männer und Frauen, Junge und Alte durch ihn lernen, in einer heilen Gemeinschaft miteinander zu leben, damit Menschen durch ihn aus ihrer Einsamkeit und Verlorenheit herausgeholt werden; damit wir Menschen unsere Angst vor dem Leben verlieren: „Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher der Christus ist, der Herr, in der Stadt Davids. Und das sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend."
Und bei diesen Worten fällt mir nun auch ein, dass das Stroh in der Krippe für Gott noch eine ganz andere Bedeutung hat. Mir fällt ein, dass wir manchmal auch vom „rettenden Strohhalm" sprechen, wenn da etwas ist, an dem wir uns festklammern können. Wenn da etwas ist, nach dem wir greifen können und das uns über Wasser hält, wenn die Wogen des Lebens einmal wieder über uns zusammenschlagen. An Gott können wir uns getrost festhalten. Er ist unsere Hoffnung: „Fürchtet euch nicht! Denn euch ist heute der Heiland geboren."
Weihnachten verändert Menschen: Das geht schon mit ganz kleinen Dingen an. Wir haben in den zurückliegenden Wochen an andere gedacht und überlegt, wie wir sie am Weihnachtsabend erfreuen können. Wir lassen uns in diesen Tagen anrühren von alten Liedern. Wir öffnen uns der Weihnachtsbotschaft und bemühen uns um Verständnis in der Familie. Wir gehen aufeinander zu. Aber das kann dann noch viel weiter gehen, wenn wir Gott in unserem Leben wirklich Platz nehmen lassen - mit allen Schritten für Frieden und Gerechtigkeit; mit unseren Gebeten für andere. Da wird es Weihnachten bei uns. Wenn wir den Heiland unser ganzes Leben verwandeln lassen; in Freundlichkeit und Mitgefühl. Die Welt und wir selbst werden verwandelt, wenn wir auf den guten Willen Gottes für uns Menschen hören und danach handeln. Die Welt und wir selbst werden uns ändern, wenn wir uns von Gott zum Lächeln bringen lassen und uns ihm mit Leib und Seele anvertrauen. Und dann gilt für unser ganzes Leben: „Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher der Christus ist, der Herr, in der Stadt Davids. Und das sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend."
Ihnen allen ein wahrhaft gesegnetes und deshalb fröhliches Weihnachtsfest. Amen